Arma Reforger: Der taktische Sandkasten, der die Regeln leise umschreibt
Du *spielst* Arma Reforger nicht so sehr, sondern *erlebst* es - ein geprelltes Schienbein und eine verschlüsselte Funkübertragung nach der anderen. Das Experiment von Bohemia Interactive, das als kühnes Vorspiel für das kommende Arma 4 gestartet wurde, landete im Mai 2022 wie eine vorsichtige Artilleriegranate im Early Access und ist seitdem zu einer Sandbox-Symphonie für militärisch Interessierte gereift. Es ist nicht einfach nur ein Spiel - es ist ein getarntes Missionsbriefing, ein Seesack, der zeigt, was möglich ist, und das, was für die meisten von uns am ehesten möglich ist, von einem simulierten Truppenführer auf der Insel Everon angeschrien zu werden.
Während die meisten Shooter dich mit Killfeeds und Freischaltbäumen verführen, geht Arma Reforger den langen Weg. Es bietet Authentizität statt Adrenalin, Kontrolle statt Chaos. Es gibt keine Perks, die du bei jedem Match aufsammeln kannst. Stattdessen wirst du mit wenig mehr als deinem Verstand, deiner Ausrüstung und dem schwachen Vertrauen deines Trupps in eine stimmungsvolle, detailreiche Umgebung geworfen. Das Ganze fühlt sich an wie eine atmende Militärsimulation, die es leid war, so zu tun, als ob sie etwas anderes wäre.
Das Gameplay von Reforger nimmt dich nicht an die Hand. Es nimmt deine Anwesenheit nicht einmal richtig zur Kenntnis. Du tauchst mit einem Kompass und einem Funkgerät auf. Das war's. Du schaust auf deine Karte, als wäre sie ein Evangelium und kein GPS. Wenn du mehr Ausrüstung brauchst, holst du sie dir entweder in einem Stützpunkt oder du nimmst sie einem gefallenen Verbündeten ab - am besten, nachdem du dich vergewissert hast, dass er nicht nur verwundet ist. Die Spielmechanik ist rau und schwer. Du kannst nicht einfach ewig sprinten oder um Gefahren herumhüpfen. Jede Bewegung fühlt sich folgerichtig an, als würden deine Stiefel tatsächlich auf Schotter aufschlagen und nicht über Pixel gleiten.
Der wichtigste Modus, Conflict, versetzt die Spieler/innen in groß angelegte Gefechte, bei denen es weniger um Territorium als um Koordination geht. Es gibt keine magischen Wegpunkte. Du und dein Trupp müsst tatsächlich miteinander kommunizieren. Am Anfang ist es unwirklich - diese plötzliche Abhängigkeit von anderen Menschen in einem Videospiel. Aber es zahlt sich aus, wenn es funktioniert. Jedes noch so kurze Feuergefecht wird zu einem spannenden, filmreifen Handgemenge zwischen gut ausgerüsteten Köpfen.
Game Master Modus
Dann gibt es noch den Game Master Modus, der das Erlebnis komplett umdreht. Hier schlüpft ein Spieler in die Rolle eines Puppenspielers hinter den Kulissen, der die Missionen steuert, das Wetter ändert, Ziele fallen lässt oder Feinde mitten im Spiel auftauchen lässt. Es fühlt sich an wie Dungeon Mastering in einem Kriegsfilm, und wenn sich das wie eine Nische anhört, dann ist es das auch - aber auf die bestmögliche Weise. Du spielst nicht einfach nur Missionen - du erschaffst Erinnerungen und setzt Geschichten in Gang, über die die Spieler später schreiben werden.
Aber der Clou? Arma Reforger weigert sich, den Spielfortschritt zu gamifizieren. Es gibt kein auffälliges XP-System. Keine saisonalen Battle-Pass-Köder. Was du gewinnst, ist die Beherrschung der Mechanik, der Karten und der Taktik. Du wirst besser, weil du es musst, nicht weil es eine Belohnung gibt. Das mag zwar die Fortnite-Fans abschrecken, aber es ist ein wunderbarer Beitrag zur Immersion. Die Ausrüstung, die du bei dir trägst, hat Gewicht, nicht nur physisch, sondern auch erzählerisch. Du sammelst ein Funkgerät oder stabilisierst einen blutenden Teamkameraden nicht wegen der Punkte, sondern weil ein Soldat das tatsächlich tun würde.
Motor
Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern der Philosophie von Arma Reforger: der Enfusion-Engine. Wenn Reforger ein Versuchsgelände ist, dann ist Enfusion das Kriegslabor darunter. Modular, skalierbar und speziell für zukünftige Projekte entwickelt, ist sie weniger eine traditionelle Spiel-Engine als vielmehr eine Simulationsfläche. Hier können sich Modder austoben. Von völlig neuen Missionen bis hin zu eigenen Fahrzeugen und KI-Änderungen - die Möglichkeiten sind nicht nur endlos, sie werden auch gefördert. Bohemia hat sogar seine eigenen Entwicklungstools veröffentlicht und lädt Entwickler/innen dazu ein, ihre eigenen Mechaniken zu entwickeln und sie über den Workshop zu teilen.
Durch diese Offenheit fühlt sich das Spiel auf eine Weise lebendig an, wie es die meisten Militärsimulationen nicht können. Ständig tauchen neue von der Community entwickelte Spielmodi auf. Einige ähneln traditionellen Shooter-Formaten, während andere völlig neue Ziele einführen, komplett mit erzählerischen Bögen und einzigartigen Regeln. Und die offiziellen Updates sind alles andere als kosmetisch - die letzten Patches haben die Wegfindung der KI, die Fahrzeugphysik, das Layout der Benutzeroberfläche und sogar die Konsolensteuerung deutlich verbessert und damit Bohemias Engagement für Verbesserungen unterstrichen.
Optisch ist Arma Reforger eine unerwartete Wucht. Die Insel Everon, die der Erinnerung an frühe Dramen des Kalten Krieges entsprungen ist, wurde detailreich und erdverbunden dargestellt. Dichte Wälder, schlammige Flussdurchquerungen und eine verfallene ländliche Infrastruktur sehen so greifbar aus, dass du schwören könntest, du wärst im echten Leben durch solche Städte gefahren. Das Licht bricht mit filmischem Flair durch die Wolken und die Wetterübergänge geben dir das Gefühl, einen Dokumentarfilm zu erleben, anstatt dich durch ein Spiel zu kämpfen.
Sounddesign
Aber was die Immersion wirklich ausmacht, ist das Sounddesign. Hier gibt es keinen Soundtrack. Keine dramatischen Streicher, die dich daran erinnern, dass du in Gefahr bist. Nur das Knirschen von Stiefeln auf Schotter, das Knacken von Gewehrfeuer in der Ferne und das blecherne Klicken der Sprechtaste deines Funkgeräts. Das ist pure, ungestörte Präsenz. Wenn Mörser in der Nähe einschlagen oder ein Jet über dir kreischt, klingt das nicht beeindruckend, sondern erschreckend. Und genau das ist der Punkt.
Die Community hat es größtenteils verstanden. Auf vielen Servern gibt es überraschend viel Teamwork. Die Spieler benutzen tatsächlich Callouts. Sie koordinieren sich. Sie warten. Sie lernen. Das Tempo von Arma Reforger bedeutet, dass du hart bestraft wirst, wenn du es wie einen Arcade-Shooter behandelst. Wenn du auf offene Felder stürmst oder den Funkverkehr ignorierst, ist das eine gute Möglichkeit, eliminiert zu werden, ohne zu sehen, wer auf dich geschossen hat. So entsteht eine Art gegenseitiger Respekt - sogar unter Randomspielern. Es ist ein Shooter, in dem Schweigen strategisch ist und Planung wichtiger ist als blitzschnelle Reflexe.
Fazit
Wer sollte also Arma Reforger spielen? Die ehrliche Antwort: Menschen, die gerne Dinge bauen. Leute, die Komplexität zu schätzen wissen. Leute, denen es nichts ausmacht, zehn Minuten lang zu laufen, wenn sie dadurch ein gegnerisches Team überrumpeln können. Es ist ein Spiel, das Geduld belohnt, Arroganz bestraft und sich weigert, sich für den leichten Nervenkitzel zu vereinfachen.
In einer Branche, in der die meisten Shooter in einem Dunst aus Skins, Killcams und Dopaminhits verschwimmen, hebt sich Arma Reforger ab. Es ist taktisch, es ist schwierig und es ist immer noch in der Entwicklung - aber es ist auch eine der fesselndsten Militär-Sandboxen auf dem Markt. Und egal, ob du ein Veteran der Mil-Sims bist oder einfach nur ein neugieriger Wanderer, der nach etwas Neuem sucht, irgendwo auf Everon gibt es einen Platz für dich. Du musst nur eine Karte finden, dich orientieren und vielleicht, aber nur vielleicht, herausfinden, wie du die Nacht überleben kannst.